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Kinder fotografieren ihre Welt

Djanet ist eine Wüstenstadt in Algerien. Sie liegt ca. 2000 km südlich von der Hauptstadt Algier entfernt, hat schätzungsweise ca. 15'000 Einwohner und liegt am Fuss des Tassili N’Ajier, ein riesiges Hochplateau mit seinen weltberühmten Felsgravuren und –zeichnungen. Mit dem Wunsch im Herzen, die Wüstenstadt Djanet, welche bis jetzt für mich einige Male Ausgangspunkt für eine Wüstenreise war, näher kennen zu lernen, suchte ich für einige Wochen eine Wohnmöglichkeit. Dank der Unterstützung eines ortsansässigen Reisebüroinhabers konnte ich mich in einem typischen Wohnhaus, welches der Agentur als Aufenthaltsort für ankommende und abreisende Gäste, als Depot für Trekkingausrüstungen und als Büro dient, für sechs Wochen einquartieren. Das Haus befindet sich in einem der grossen Quartiere von Djanet und ich hatte das Glück, es mehrheitlich für mich alleine bewohnen zu können. Dies war ab sofort meine Basisstation, von wo aus ich Djanet erforschen wollte. Meine Idee war, dass ich Kinder aus unterschiedlichen Familien und Quartieren finden und sie dann bitten wollte, für mich Fotos von ihren Lieblingsplätzen und von ihren Freunden oder der Familie zu machen. Dafür mitgebracht hatte ich Digitalkamera, Laptop und einen kleinen Farbdrucker, um als kleine Erinnerung auch gleich ein paar Fotos ausdrucken und den Kindern geben zu können.
Die Familie ist alles! Die ureigenste Tradition der Tuareg ist die Gastfreundschaft, dank welcher ich auf die absolut selbstverständlichste Art Unterstützung erfuhr, welche ich für die Durchführung meines Vorhabens benötigte. So entstand eine grosse Anzahl sehr vielfältiger Bilder! Die Kinder waren – nachdem die gegenseitige Scheu überwunden war und wir eine Verständigung – französisch, arabisch, tamaschek (die Sprache der Tuareg) und Zeichensprache in wilder Folge und nicht immer eindeutig – hergestellt hatten, schnell begeistert, mit einer Digitalkamera durchs Quartier zu ziehen und mir ihre schönsten Plätze zu zeigen. Entstanden sind Bilder in den Strassen, den Gärten, in der Schule – fast nie zuhause. Bilder von der Familie, dem privaten Lebensbereich sind für Unbekannte und Fremde tabu. Das war die grosse Ernüchterung für mich. Trotzdem hat Djanet für mich den Schleier gelüftet! Dank meinen unzähligen Kinderbekanntschaften durfte ich auf unkomplizierte Art sehr schnell am Familienleben teilnehmen. Als Frau hatte ich uneingeschränkten Zutritt in die wohlbehütete Frauenwelt, sei es zuhause in der Familie, bei der Hausarbeit, bei Festen, an Arbeitsplätzen. Da ich viel Zeit hatte, nutzte ich alle sich mir bietenden Gelegenheiten bekam auf diese Weise einen unvergesslichen und vielfältigen Einblick in den Familien- und Frauenalltag in dieser Wüstenstadt Djanet. Die Bilder, die dabei entstanden, nicht analog nicht digital, sind Bilder, direkt im Herz „gespeichert“, für andere leider unsichtbar, für mich ein unauslöschlicher Erfahrungschatz, für den ich ewig dankbar bin! Meine anfänglichen Bedenken, ich könnte mich in dieser Welt einsam und verloren fühlen, da ich ja niemanden kannte, waren nach kurzer Zeit verflogen. Bald musste ich meine Zeit gut einteilen, damit ich alle Verabredungen und Einladungen einhalten konnte und meine Projektarbeit mit den Kindern dabei nicht vernachlässigte. Zwischendurch gönnte ich mir auch durchaus einen freien Tag, um all die Erlebnisse zu verdauen! Nach diesen sechs intensiven Wochen kehrte ich reich beglückt in die Schweiz zurück.

Die Bilder kommen zurück – die Ausstellung
(September 2002)

Wie die Bilder nach Djanet zurückbringen und sie einem breiten Publikum zeigen? Oft konnten die Erwachsenen überhaupt nicht verstehen, dass ich Kindern, welche aus ihrer Sicht nichts verstehen, eine Kamera anvertraute. Mit einem gewissen Stolz wollte ich das Resultat dieser Zusammenarbeit den Erwachsenen in Djanet präsentieren. Aber wie? Eine Ausstellung an einem bestimmten Ort schien mir zu riskant; ich befürchtete, dass nur gerade die unmittelbar in der Nähe wohnenden Leute diesen Ort besuchen würden. Es gab keine Zeitung und kein Radio, um auf ein solches Ereignis aufmerksam zu machen. Ich entschied mich für eine Wanderausstellung, der ursprünglichen Nomadenkultur der Tuareg folgend und packte für diesen nächsten Besuch zusätzlich zum Laptop einen Beamer in mein Gepäck. Vor Ort musste sich das übrige Material – Lautsprecher, Kabel u.ä. finden lassen – die nahezu grenzenlose Improvisationsfähigkeit der Leute in Djanet hatte ich in guter Erinnerung!

Die Roadshow

Die Wanderausstellung wird zur Roadshow: Die Leute von Djanet lieben moderne Technologie und Autos! Zum Leidwesen der Nostalgiker, zu welchen die meisten Touristen wie auch ich zu zählen wären, sind die Kamele, einst treue Begleiter der Nomaden aus Djanet verschwunden; an ihre Stelle und mit noch grösserem Wert verbunden ist der 4x4 getreten. Für meinen Plan, mit meiner „Ausstellung“ von Quartier zu Quartier zu ziehen, war ein Geländewagen aber mindestens so hilfreich und entschieden einfacher und schneller zu beladen! Ab sofort waren die verschiedenen Quartiere Djanets in heller Aufregung, wenn die Mitteilung die Runde machte, dass am Abend das fahrende Cinéma in ihre Strasse kommen sollte. Jede Vorführung war zwar immer sehr „inchallah“, da sich das organisieren eines Autos dann doch als schwieriger gebärdete, als ein Kamel von der Wüstenweide zu holen! Es war immer bis zur letzten Minute offen, wer und mit welchem Auto sich für den Transport einfinden würde. Endlich am Ort des Geschehens eingetroffen, war es mindestens so aufregend, das „cinéma“ zu installieren, dh. Eine schöne weisse Hauswand auszuwählen, eine Stromquelle zu finden und alle Geräte anzuschliessen, alles genaustens vom frühzeitig anwesenden Publikum – die ersten waren natürlich immer die Kinder, dann die jungen Männer, später auch ältere und die Frauen. Ich hatte jeweils richtiges Lampenfieber, würde alles klappen, läuft der Computer, läuft der Beamer, kein störender Sand irgendwo, die richtige Musik als Einstimmung gewählt? Wenn dann langsamer Tuaregblues aus den Boxen erklang, entspannten sich alle um kurze Zeit später in noch hellere Aufregung versetzt zu werden, wenn die ersten Bilder auf der Hauswand erschienen, bekannte Gesichter in übergrosser Dimension! Mit Staunen, Freude und mit lautem Kinderlachen nahm das Publikum die fotografische Rundreise durch ihre vertraute Umgebung auf! Ich war sehr zufrieden, dass ich eine Form gefunden hatte, meine Arbeit vom Frühjahr einem breiten Publikum zeigen zu können; damit wurden meine kühnsten Erwartungen übertroffen. Dass wir die Chance, aus unsere fahrenden Ausstellung zu einem Openair-Kino auszuweiten, ausnutzten und im Anschluss an die Bilderschau das indische Filmepos Lagaan zeigten, verschaffte mir für die nächsten Jahre den Ruf des buntestens Hundes in Djanet! Diese Bildererlebnisse in den warmen Wüstennächten des Septembers 2002 sind bis heute unvergessen, sowohl bei mir wie auch bei den Bewohnern von Djanet!

 

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